Sport hält fit, stärkt das Immunsystem und wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System sowie die Psyche aus. Doch wie ist das bei einer Erkältung? Muss mit dem Training pausiert werden? Wie schnell gehen Muskeln und Leistungsfähigkeit verloren? Und wann kann wieder richtig trainiert werden?
Virale und bakterielle Infektionen fordern das Immunsystem heraus. Das bedeutet Stress für den Körper. Laut dem Sportwissenschaftler und medizinischen Trainingstherapeuten Tobias Ketelsen habe das Immunsystem nur begrenzte Kapazitäten, für das auch Sport akut eine Belastung darstelle. Kommt zu einem Infekt also noch eine sportliche Belastung und somit physiologischer Stress hinzu, habe das Immunsystem an zwei Aufgaben zu knabbern, sodass zum einen weder zur Heilung des Infekts noch zum Erreichen sportlicher Leistungen genug Ressourcen zur Verfügung stehen. Zum anderen kann es laut Ketelsen zu ungünstigen Nebenwirkungen kommen. Eine davon ist das sogenannte Verschleppen einer Krankheit, wodurch man sich wochenlang mit Symptomen herumschlagen muss.
Sport und Bewegung
Ein absoluter Kontraindikator für Sport ist eine fiebrige Infektion wie beispielsweise bei einer Grippe. Stehen dem Körper nicht genug Reserven zur Abwehr zur Verfügung, kann sich die Krankheitsdauer enorm verlängern oder das Krankheitsbild gar verschlimmern. Schweißtreibende Aktivitäten beim Kraft- und Ausdauersport begünstigen das Einnisten und die Ausbreitung von Erregern. Laut Ketelsen kann im schlimmsten Fall eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) entstehen, die das Leben durch strukturelle Schädigungen am Herzen bis hin zu einer Herzinsuffizienz langfristig beeinträchtigen oder im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen kann. Im Vergleich dazu wirkt eine erkältungsbedingte Sportpause von zwei bis vier Wochen geradezu attraktiv.
Langsame Spaziergänge
Virale oder bakterielle Infekte der Atemwege sind neben Verletzungen des Bewegungsapparates die Hauptursache für Trainingsausfälle oder Wettkampfabsagen. Man braucht sich also nicht faul, schwach oder frustriert fühlen – eine Sportpause bei Infektionen ist schlichtweg normal und vernünftig. Lässt es der Gesundheitszustand zu, sind langsame und bewusste Spaziergänge an der frischen Luft bei 50 bis 60 Prozent der maximalen Herzfrequenz laut Ketelsen in Ordnung. Das gilt aber nur, wenn du dich nicht hundeelend fühlst oder es kein Kraftakt ist, überhaupt aus dem Bett zu kommen. Moderate Bewegung unter freiem Himmel kann die Regeneration und Genesung fördern, vor allem weil die UV-Strahlung die Bildung von Vitamin D zur Stärkung des Immunsystems anregt.
Sanftes Yoga
Treten nach einigen Tagen auf der Couch und im Bett unangenehme Rückenschmerzen auf, spricht nichts dagegen, die Wirbelsäule mit sanften Yogaeinheiten durchzumobilisieren. Generell empfiehlt Ketelsen, bei leichter Symptomatik an den festen Trainingstagen etwas für sich zu tun. Mobility Training oder Meditieren sind beispielsweise im Rahmen. Umso leichter falle dann der Wiedereinstieg in die Sportroutine.
Kein schlechtes Gewissen
Egal ob Hobby- oder Leistungssportler, der Bewegungsmangel kann sich regelrecht wie ein Stück Identitätsverlust anfühlen und mit einem schlechten Gewissen einhergehen. Befürchtungen wie körperliche Folgen, optische Veränderungen und Einbußen der Leistungsfähigkeit sind jedoch unberechtigt. Rational und langfristig betrachtet, wird sich eine Pause von ein paar Tagen oder Wochen nicht negativ auf einen aktiven Lebensstil und das Erreichen sportlicher oder körperlicher Ziele auswirken. Laut Sportwissenschaftler Ketelsen gehen über Monate und Jahre erarbeitete Adaptionen wie eine verbesserte Herz- und Atemökonomie oder die Versorgung der arbeitenden Muskulatur mit Blutkapillaren nicht von heute auf morgen verloren und erst recht nicht langfristig.
Muskelgedächtnis
Es kann jedoch sein, dass sich der Körper kurzfristig optisch verändert und sich auch anders anfühlt. Dies erklärt sich aus einem geringeren Muskeltonus durch den fehlenden Trainingsreiz und weniger intramuskulären Wassereinlagerungen durch die Entleerung der Glykogenspeicher in der Muskulatur. Muskeln wirken deshalb weniger prall und straff. Der Kern der Muskelzellen bleibt erhalten, auch wenn sich die maximale Leistung einiger Muskelfasertypen nach ein paar Wochen verringert. Dafür verantwortlich ist der sogenannten Muscle-Memory-Effekt, eine Art Muskelgedächtnis. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Sportler ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit viel eher als Untrainierte erreichen. Auch Ketelsen betont, dass der Wiederaufbau von Muskulatur schneller als der Neuaufbau gelingt, vorausgesetzt das Training stimmt. Als Faustregel gilt, dass die Zeit des krankheitsbedingten Ausfalls benötigt wird, um das Ausgangsniveau wieder zu erreichen.
Nötige Zwangspause
Studien haben gezeigt, dass sowohl Dauer als auch Intensität körperlicher Ertüchtigung einen wesentlichen Einfluss auf die Infektrate haben. Hochintensives Training geht mit einer erhöhten Infektneigung einher, während moderates Training das Auftreten von Infekten eher verhindert. Es kann also sogar sein, dass der Körper eine Belastungspause dringend nötig hat und eine längere Regenerationsphase durch eine Infektion einfordert. Tobias Ketelsen sieht in solchen Zwangspausen auch eine Chance. So können zum Beispiel gerade die passiven Strukturen wie der Stütz- und Bandapparat von solchen profitieren.
Wiedereinstieg ins Training
Pauschal kann keine Aussage darüber getroffen werden, wann ein Trainingseinstieg wieder möglich oder empfehlenswert ist. Klassischerweise spricht man davon, dass ein Infekt drei Tage kommt, drei Tage bleibt und drei Tage geht – daher sollte also mindestens neun Tage bei einer Erkältung pausiert werden. Bei grippalen Infekten mit Fieber kann sich die Krankheitsphase deutlich in die Länge ziehen. Ketelsen empfiehlt, sowohl subjektive als auch objektive Parameter mit in die Bewertung des Gesundheitszustands einfließen zu lassen. Es lässt sich beispielsweise überprüfen, ob sich der Ruhepuls wieder seinem Normwert angenähert hat oder noch erhöht ist. Auch die Sekretbildung in den oberen Atemwegen oder das Gefühl des Angeschlagenseins und schnelle Erschöpfung sind Parameter. Außerdem gehören Gelenkschmerzen zu den Kontraindikatoren. Diese Schmerzsymptomatik sei häufig durch die Bildung und dortige Ablagerungen von sogenannten Immunkomplexen provoziert. Es stehen also noch „Aufräumarbeiten“ an, für die der Körper Zeit und Erholung braucht.
Low Intense
Beim Wiedereinstieg ins Training empfiehlt es sich, mit weniger intensiven Einheiten loszulegen und sich sukzessiv zum Ausgangsniveau vorzuarbeiten. Weiterhin können externe Faktoren laut Trainingstherapeut Ketelsen positiven Einfluss haben. Darunter fallen eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr (auch in flüssiger Form) sowie die Supplementierung von Antioxidantien. Außerdem sollte die Raumluft genügend Luftfeuchte enthalten und der Kontakt mit anderen anfangs minimal gehalten werden. So werden zum einen die Atemwege und deren Schleimhäute durch trockene Luft nicht unnötig gereizt und zum anderen kann das Risiko einer Neuinfektion des eventuell noch geschwächten Immunsystems minimal gehalten werden.
Quelle: shape UP