Vom IdealCoach Patrick Heisel
Mythos 1: Dehnübungen verhindern Muskelkater
Die weit verbreitete Annahme, dass Stretching vor oder nach dem Training die Entstehung von Muskelkater zuverlässig unterbindet, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Viele Freizeitsportler dehnen sich ausführlich in der Hoffnung, Schmerzen am nächsten Tag zu vermeiden. Eine umfassende Metaanalyse aus dem Jahr 2007, veröffentlicht im Cochrane Database of Systematic Reviews, die zahlreiche Studien zu diesem Thema untersuchte, kam zu dem Schluss, dass Dehnen entweder keinen oder nur einen minimalen Effekt auf die Reduzierung von Muskelkater hat. Stattdessen wird Muskelkater, der sich typischerweise 12 bis 48 Stunden nach einer ungewohnten oder intensiven Belastung einstellt, durch mikroskopisch kleine Risse in den Muskelfasern und die darauf folgende Entzündungsreaktion verursacht. Ein leichtes Aufwärmen vor dem Sport und ein angepasstes, progressives Training sind wesentlich effektiver, um Muskelkater vorzubeugen, als statisches Dehnen.
Mythos 2: Sport auf nüchternen Magen verbrennt mehr Fett
Es ist ein hartnäckiger Irrglaube, dass morgendliches Training vor dem Frühstück, auch bekannt als „Nüchtern-Training“, zu einer signifikant höheren Fettverbrennung führt. Die Theorie besagt, dass der Körper ohne sofort verfügbare Kohlenhydrate auf Fettreserven zurückgreifen muss. Zwar ist es korrekt, dass der prozentuale Anteil der Fettverbrennung während des Trainings auf nüchternen Magen höher sein kann, dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig einen größeren Gesamtfettverlust. Eine Studie aus dem Jahr 2014, veröffentlicht im Journal of the International Society of Sports Nutrition, verglich die Körperzusammensetzung von Personen, die auf nüchternen Magen trainierten, mit denen, die vorher gegessen hatten. Das Ergebnis zeigte keinen signifikanten Unterschied im Körperfettanteil über einen Zeitraum von sechs Wochen. Entscheidend für die Gewichtsabnahme und den Fettabbau ist letztlich die Gesamtenergiebilanz über den Tag oder die Woche hinweg – also mehr Kalorien zu verbrauchen, als man zu sich nimmt. Intensives Training auf nüchternen Magen kann zudem die Leistungsfähigkeit mindern und das Muskelwachstum beeinträchtigen.
Mythos 3: Krafttraining macht Frauen „klobig“
Die Befürchtung, dass Frauen durch regelmäßiges Krafttraining einen übermäßig muskulösen und unfemininen Körperbau entwickeln, ist weitgehend unbegründet. Diese Sorge hält viele Frauen davon ab, die Vorteile des Krafttrainings für sich zu nutzen. Der Hauptgrund, warum Frauen in der Regel nicht so leicht „klobig“ werden wie Männer, liegt im hormonellen Unterschied. Männer produzieren deutlich höhere Mengen des Hormons Testosteron, das für den Muskelaufbau entscheidend ist. Frauen haben im Vergleich dazu nur sehr geringe Testosteronspiegel. Daher ist es für die meisten Frauen genetisch sehr schwierig, eine extreme Muskelmasse aufzubauen, es sei denn, sie trainieren über Jahre hinweg sehr spezifisch und intensiv, oft unter Zuhilfenahme leistungssteigernder Substanzen. Stattdessen trägt Krafttraining bei Frauen zu einer Verbesserung der Körperzusammensetzung, Stärkung von Knochen und Gelenken, Steigerung des Stoffwechsels und einer strafferen, definierteren Figur bei, wie zahlreiche Fitness- und Gesundheitsstudien belegen.
Mythos 4: Kohlenhydrate sind schlecht für Sportler
Entgegen der populären Meinung sind Kohlenhydrate für sportlich Aktive keineswegs schädlich, sondern stellen die primäre und effizienteste Energiequelle für Leistungsfähigkeit dar. Insbesondere bei intensiven oder längeren Trainingseinheiten sind Kohlenhydrate unerlässlich, da der Körper sie schnell in Glukose umwandeln kann, die dann als Treibstoff für die Muskeln dient. Die Glykogenspeicher in Muskeln und Leber, die aus Kohlenhydraten gebildet werden, sind entscheidend für Ausdauerleistungen und die Regeneration. Eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr vor, während (bei längeren Einheiten) und nach dem Sport hilft, die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und die Erholung zu beschleunigen. Eine pauschale Dämonisierung von Kohlenhydraten, wie sie in einigen Diät-Trends vorkommt, ignoriert deren fundamentale Rolle im Energiestoffwechsel von Sportlern. Eine ausgewogene Ernährung, die komplexe Kohlenhydrate wie Vollkornprodukte, Obst und Gemüse enthält, ist für Sportler unerlässlich.
Mythos 5: Nur Ausdauertraining ist gut für das Herz
Die Vorstellung, dass ausschließlich kardiovaskuläres Training wie Laufen, Schwimmen oder Radfahren die Herzgesundheit fördert, ist unvollständig. Während Ausdauertraining unbestreitbar wichtig für die Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems ist, trägt auch Krafttraining wesentlich zu einer umfassenden Herzgesundheit bei. Eine Studie der St. George’s University in Grenada, veröffentlicht im Journal of the American College of Cardiology im Jahr 2018, analysierte die Auswirkungen von statischem (Krafttraining) und dynamischem (Ausdauertraining) auf das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Ergebnisse zeigten, dass beide Arten von Training mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden waren. Krafttraining hilft, den Blutdruck zu senken, die Insulinsensitivität zu verbessern und das Körperfett zu reduzieren, alles Faktoren, die positiv auf die Herzgesundheit wirken. Eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining bietet daher die umfassendsten Vorteile für ein starkes Herz.
Mythos 6: Je mehr man schwitzt, desto mehr Fett verbrennt man
Ein starkes Schwitzen während des Trainings ist kein verlässlicher Indikator für einen erhöhten Fettabbau, sondern primär ein Zeichen für die körpereigene Temperaturregulierung und den Verlust von Wasser. Schwitzen ist die Methode des Körpers, sich abzukühlen, wenn die Körpertemperatur steigt. Dies geschieht unabhängig davon, ob die verbrauchte Energie primär aus Kohlenhydraten oder Fetten stammt. Die Menge des Schweißes hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Intensität der Anstrengung, die Umgebungstemperatur, die Luftfeuchtigkeit, die individuelle Genetik und der Hydratationszustand. Ein hoher Schweißverlust bedeutet in erster Linie einen Wasserverlust, der durch Trinken wieder ausgeglichen werden muss, und nicht zwangsläufig einen substanziellen Fettverlust. Für den tatsächlichen Fettabbau ist die Gesamtenergiebilanz und die Trainingsintensität über einen längeren Zeitraum entscheidend, nicht die Menge des Schweißes.
Mythos 7: Man muss jeden Tag trainieren, um fit zu sein
Es ist nicht zwingend notwendig, täglich Sport zu treiben, um eine gute körperliche Verfassung zu erreichen. Tatsächlich sind Regenerationstage für den Trainingsfortschritt und die Vermeidung von Überlastung und Verletzungen essenziell. Muskeln wachsen und erholen sich in der Regel nicht während des Trainings, sondern in den Phasen der Ruhe danach. Das American College of Sports Medicine (ACSM) empfiehlt für die meisten Erwachsenen mindestens 150 Minuten moderate Ausdaueraktivität pro Woche oder 75 Minuten intensive Ausdaueraktivität, kombiniert mit Krafttraining für alle großen Muskelgruppen an zwei oder mehr Tagen pro Woche. Diese Empfehlungen lassen Raum für Regeneration und müssen nicht auf tägliche Einheiten aufgeteilt werden. Übertraining kann sogar zu Leistungseinbußen, Erschöpfung, Schlafstörungen und einem erhöhten Verletzungsrisiko führen. Qualität des Trainings und ausreichende Erholung sind wichtiger als die reine Quantität.
Mythos 8: Sport am Abend stört den Schlaf
Die allgemeine Behauptung, dass körperliche Aktivität kurz vor dem Zubettgehen den Schlaf negativ beeinflusst, trifft nicht pauschal auf jeden zu. Während intensiver Sport die Körpertemperatur erhöhen und stimulierende Hormone freisetzen kann, was bei manchen Personen das Einschlafen erschwert, zeigen neuere Studien, dass dies nicht für alle gilt. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2020, veröffentlicht im Sleep Medicine Reviews, die 15 Studien zu diesem Thema untersuchte, fand heraus, dass moderates Abendtraining die Schlafqualität bei gesunden Erwachsenen in der Regel nicht beeinträchtigt und sogar vorteilhaft sein kann, solange es nicht direkt vor dem Schlafengehen (innerhalb von etwa einer Stunde) durchgeführt wird. Die Reaktion auf abendliches Training ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von der Art, Intensität und Dauer der Aktivität sowie vom Chronotyp der Person („Lerche“ oder „Eule“) ab. Für viele kann moderate Bewegung am Abend sogar zur Entspannung beitragen und somit den Schlaf fördern.
Mythos 9: Man kann Fett gezielt an bestimmten Stellen verbrennen (Spot Reduction)
Die Annahme, dass durch spezifische Übungen, wie unzählige Sit-ups für einen flachen Bauch oder Beinheber für schlanke Oberschenkel, Fett gezielt an bestimmten Körperpartien reduziert werden kann, ist ein weit verbreiteter, aber falscher Mythos, bekannt als „Spot Reduction“. Der Körper verbrennt Fett nicht lokal an den Stellen, die trainiert werden, sondern greift bei der Energiegewinnung auf seine gesamten Fettdepots zurück. Wo Fett zuerst abgebaut wird, ist genetisch bedingt und kann nicht durch gezielte Übungen beeinflusst werden. Eine Studie aus dem Jahr 2013, veröffentlicht im Journal of Strength and Conditioning Research, untersuchte die Auswirkungen von gezieltem Bauchmuskeltraining auf den Bauchfettverlust und fand keine signifikante Reduktion des Bauchfetts im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Um Fett zu verlieren, ist eine negative Kalorienbilanz durch eine Kombination aus ausgewogener Ernährung und ganzkörperlichem Training (Ausdauer- und Krafttraining) erforderlich, da der Körper dann insgesamt auf seine Fettreserven zurückgreift.


